Abstract
Dieser Band gibt eine umfassende Einführung in das Sozialraumparadigma. Es ist ein Grundlagenbuch, das auch heute noch als gute Arbeitsgrundlage nützlich ist. Grundlegend werden Sozialraum und Lebenswelt in einer sozialräumlichen Lebensweltanalyse verknüpft, der Subjektorientierung wird im Verständnis von Sozialraum der Vorrang gegeben anstatt einem sozialgeografischen Fokus: Sozialraum stellt anschließend an Leontjew einen subjektiven Aneigungsraum dar. Eine Sozialraum- und Lebensweltanalyse wird mit grundlegenden Methoden als aktivierende Maßnahme, als Basis für Konzeptentwicklung, Bedarfsermittlung und Zielbestimmung, auch im Rahmen der Jugendhilfeplanung und Städteplanung und bezüglich Qualitätsentwicklung vorgestellt. Dieser informative und sehr praxisbezogene Band kann in seiner dichten Form der Darstellung in Jugendhilfeplanung und Jugendeinrichtungen ebenso gut genutzt werden wie in der Hochschullehre. Zu den einzelnen Beiträgen:
Ulrich Deinet greift die Sozialraumdebatte in der Jugendhilfe auf und setzt sie in Bezug zur Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Als Fazit seines Einführungsaufsatzes sieht er den "Paradigmenwechsel" in der Jugendhilfe von der Einzelfallorientierung über die Zielgruppenorientierung hin zur Sozialraumorientierung, in der Kinder- und Jugendarbeit weg von der Beschränkung auf eine Einrichtung hin zur Öffnung in den Stadtteil und zur Vernetzung, weg von der Beziehungsarbeit hin zum Arrangieren förderlicher Bedingungen für Aktivitäten und Aneignung von Kindern und Jugendlichen.
Im zweiten Kapitel arbeitet Deinet die Perspektive der Wiedergewinnung von öffentlichem Raum als qualitativ ansprechendem Aneignungsraum im Gegensatz zur Präventionslogik der „gefährlichen Straße“, in der es um Vorbeugung und Einpassung geht. Aneignung als tätige Auseinandersetzung des Subjekts mit der Umwelt ist ausgehend von Leontjew theoretischer Ausgangspunkt, dabei werden verschiedene Dimensionen der Aneignung vorrangig dem informellen Lernen zugeordnet. Die Ergebnisse der PISA-Studie können nach Deinet dahingehend interpretiert werden, dass „Jugendlichen heute wesentliche Aneignungserfahrungen als Grundlage für die Herausbildung höherer geistiger Fähigkeiten und der Entwicklung ihres Wissens fehlen“ (S.37). Über die Gestaltung der Jugendarbeit als „Aneignungsraum“ kann sie ihr jugendpolitisches Mandat zur Revitalisierung öffentlicher Räume wahrnehmen. Die Gestaltung des Ortes der Jugendarbeit als Aneignungs- und Bildungsraum geschieht im Sinne jugendlicher Handlungserweiterung im Oszillieren „zwischen der Innenwelt des Ortes und der gesellschaftlichen Außenwelt“. Die Jugendarbeit als advokatorische Mandatsträgerin wird dabei umso wichtiger. Die Kooperation der unterschiedlichen Bereiche der Jugendhilfe ist unabdingbar für eine gelingende (Jugendhilfe-)planung.
Das dritte Kapitel von Ulrich Deinet und Richard Krisch fokussiert Schritte und Modelle einer sozialräumlichen Konzeptentwicklung: Neben der Analyse der Aneigungsqualität eines Hauses bzw. Einrichtung und der Einbeziehung von grundsätzlichen Theorien der Jugendarbeit und Jugendstudien bildet die Grundlage eine Sozialraum- und Lebensweltanalyse, welche den Mix von statistischen Daten und qualitativer Methoden empirischer Sozialforschung anstrebt. Beispielhaft wird das Entwerfen von Fragestellungen und Zielen exemplifiziert und Kriterien für eine umfassende Lebenswelterkundung (z.B. Aktivierung und Beteiligung, Cliquenorientierung, Geschlechterorientierung). Ziele auf der Struktur-, Prozess- und Ergebnisebene werden benannt, konkrete Beispiele von Konzept- und Konzeptionsentwicklungen schließen sich an.
Albert Scherr zeigt in seinem Beitrag „Benötigt sozialräumliche Konzeptentwicklung Theorien?“ mögliche eigenständige Beiträge von Theorie und Praxis für die Konzeptentwicklung auf. Eine Jugendarbeit als emanzipatorische und subjektorientierte Praxis benötigt hierbei vielfältige unterschiedliche Bezüge und kann sich nicht auf einen theoretischen Ansatz beschränken. Lotte Rose setzt sich in ihrem Beitrag „Und wo bleibt die Geschlechterorientierung in ein er sozialräumlichen Jugendarbeit?“ kritisch mit Mädchenarbeit und Sozialraumorientierung auseinander mit dem Fazit:„eine geschlechtsbewusst qualifizierte Jugendarbeit ist nur über eine sozialräumliche Perspektive zweckmäßig zu praktizieren.“ (S.85)
Im Kapitel „Methoden einer sozialräumlichen Lebensweltanalyse“ stellt Richard Krisch detailliert folgende praxiserprobte Methoden vor: Stadtteilbegehung, Nadelmethode, Cliquenraster, Institutionenbefragung, Autofotografie, Subjektive Landkarte, Zeitbudgets und Fremdbilderkundung. Neben einer Beschreibung der einzelnen Methode werden detaillierte Schritte und konkrete Hilfen zur Auswahl und Umsetzung der einzelnen methodischen Bausteine erläutert. Beispiele und Ablaufpläne machen diesen Beitrag nützlich nicht nur für Praktiker*innen, sondern auch für die Ausbildung, z.B. als Grundlage für die Einübung von Feldforschungsmethoden in der Hochschullehre.
Ergänzend zum Methodenbeitrag diskutiert Ulrich Deinet anschließend „Vorgehensweisen und Probleme bei der Anwendung der Methoden“. Nachfolgend zeigt er zusammen mit Richard Krisch „Ergebnisse sozialräumlicher Konzeptentwicklung“ beispielhaft auf, wie die gewonnenen Ergebnisse der Analyse für die Entwicklung und Modifizierung von Zielen in Jugendeinrichtungen genutzt werden können. In seinem Beitrag „Zusammenarbeit mit der Jugendhilfeplanung“ regt Ulrich Deinet an den § 80 des SG VIII ernst zu nehmen, der eine Planung fordert, die Wünsche und Bedürfnisse junger Menschen und ihrer Familien berücksichtigt. Jugendhilfeplanung und sozialräumlich orientierte Jugendarbeit können hierbei fruchtbringende Partnerschaften eingehen, wofür Deinet unterschiedliche Modelle vorstellt. „Chancen und Probleme der Bildung von Sozialräumen“ beschreibt Christoph Berse ergänzend in seinem Beitrag am Beispiel der Stadt Essen. Einen Ausblick leistet Ulrich Deinet im letzten Beitrag des Bandes „Sozialräumliche Konzeptentwicklung als Qualitätsarbeit“. Hier verknüpft er die Schwerpunkte des Bandes mit der Qualitätsdebatte, stellt Modellprojekte zur Qualitätsentwicklung vor und zeigt auf, wie Jugendhilfeplanung, Qualitätsentwicklung, Konzeptionsentwicklung und Evaluation sinnvoll ineinander greifen können.
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