Forschung

Gender-Inszenierungen

Jugendliche im pädagogischen Alltag

  • Umfang: 307 Seiten
  • Autor*innen: Rose, Lotte; Schulz, Marc
  • Buch (Monographie)
  • Helmer, Königstein/Taunus, 2007

Abstract

Das Anliegen der ethnografischen Studie ist es, sich den Bildungs- und den Geschlechterdimensionen in der Praxis der Jugendarbeit zu widmen und „der Frage nachzugehen, wie Jugendhausbesucherinnen und Jugendhausbesucher Geschlechtlichkeit als soziale Größe thematisieren und welche Bildungsrelevanzen darin eingelagert sind.“ (S.11) Die Publikation rekonstruiert hierzu zunächst szenische Ausschnitte aus dem Alltag dreier Jugendhäuser. Dabei zeigen die umfangreichen und detailliert aufgeschlüsselten szenischen Darstellungen und Sinnentschlüsselungen, dass und inwiefern Kinder und Jugendliche situationsbezogen ihr Handlungswissen an Themen gebunden unterschiedlich zur Aufführung bringen. Als kontextabhängige, soziale Konstruktion wird Geschlecht grundlegend nicht im Zusammenhang der alltagsweltlichen dualen oder biologistischen Zuschreibung verstanden, sondern praxeologisch im Sinne von ‚doing gender‘: „Genderinszenierungen sind soziale Praxen, in denen eine Geschlechterunterscheidung hergestellt und thematisiert wird.“ (S.20) Die Schlussfolgerungen sind sowohl für die Bildungsorientierung der Jugendarbeit bedeutsam als auch im Hinblick auf die genderorientierte Perspektive.
In der Bilanz stellen die Autor*innen fest, dass gängigerweise Genderinszenierungen den Professionellen zuallererst und primär als Problem erscheinen: sie werden beargwöhnt als Instrumente problematischer Geschlechterverhältnisse, quasi Agentinnen geschlechtsspezifischer Diskriminierung (Platzhirschgebaren, männliches Dominanzverhalten, unhinterfragt übernommene weiblich-traditionelle Rollenmuster etc.). Inszenierungen stellen jedoch Bildungsressourcen als „aufgeführte, symbolische Interaktionserfahrungen“ dar, sie können verstanden werden als von Jugendlichen selbst geschaffene Bildungsgelegenheiten. Diese überhaupt pädagogisch aufgreifen zu können ist voraussetzungsvoll: „Inszenierungen als Bildungserfahrungen anerkennen zu wollen, setzt voraus, Bildung sehr viel stärker als bisher als relationalen und lebensweltlichen Prozess zu denken.“ (S.282) Bildung muss als Co-Produktion begriffen werden, es gilt, von erwachsenenzentrierten Logiken – gerade im pädagogischen Bereich, etwa durch (defizitäre) Etikettierungen der Adressat*innen oder feste bzw. festgefahrene Programmstrukturen – abzusehen. Die OKJA liefert hierfür sehr gute Bedingungen: „Offene Jugendarbeit stellt ein Kontinuum an mehr oder weniger vorstrukturierten und dadurch chancenreichen Inszenierungsgelegenheiten und Gestaltungsräumen dar.“ (S.291) Das pädagogische Setting entspricht dabei einem „Resonanzmedium“, die Fachkraft ist eher in zuschauender, verstehender und antwortender Rolle und reagiert mehr als dass sie pädagogisch-dominant agiert. Die Autor*innen stellen insbesondere im Bildungszusammenhang abschließend ein Paradox für die Genderpädagogik fest: „Die pädagogische Chance wie auch Aufgabe läge darin, das Genderthema gezielt zu neutralisieren, damit Jugendliche für andere Themen frei sind – für progressive Kompetenzentwicklungen, die gesellschaftlich anschlussfähig machen.“ (S.300)

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