Theorie

Demokratiebildung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit

  • Umfang: 12 Seiten
  • Autor*in: Sturzenhecker, Benedikt
  • Erschienen in: Deinet, Sturzenhecker (Hg.) 2013 – Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit, S. 325–337
  • Springer VS, Wiesbaden, 2013
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Abstract

Ausgehend von § 11 SGB VIII erläutert Benedikt Sturzenhecker den Auftrag der OKJA zur Demokratiebildung und die für diese Aufgabe zur Verfügung stehenden strukturellen Potenziale der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Aus der Konfrontation dieser Ansprüche mit der empirisch abgebildeten Realität von Partizipation und Demokratiebildung werden zukünftige Handlungsperspektiven gefolgert: Sturzenhecker schlägt als Instrument für echte Mitbestimmungsmöglichkeiten eine partizipativ zu erarbeitende Verfassung inklusive der Festlegung von Mitgliederrechten für Einrichtungen der OKJA vor.

„Die Formulierung des Zieles von Jugendarbeit als der Befähigung zu Selbstbestimmung, gesellschaftlicher Mitverantwortung und sozialem Engagement entwirft ein mündiges Individuum, das sich in einer zivilgesellschaftlichen Demokratie aktiv einbringt.“ (S.326) Aus diesem in der Gesetzesvorlage implizit enthaltenen zivilgesellschaftlichen Demokratieverständnisses, der aktiven Aneignung demokratischer Formen, wird gefolgert: „Damit lässt sich zusammenfassend der Auftrag der Jugendarbeit als die Ermöglichung von  ‚Demokratiebildung‘ bezeichnen, und zwar im Sinne der Aneignung von Demokratie durch Demokratie, die die Subjekte im sozialen Zusammenhang der Organisationen der (Offenen) Kinder- und Jugendarbeit praktizieren [...]“ (S.326f.) Die Strukturmerkmale Offenheit, Freiwilligkeit der Teilnahme und Diskursivität bieten einerseits gute Voraussetzungen für Demokratiebildung. Andererseits beinhalten andere Aspekte, so z.B. die Machtarmut der OKJA, wiederum kritische Inhalte für die Umsetzung des Auftrags der Demokratiebildung. Für die Offene Kinder- und Jugendarbeit wird „deutlich, dass die Strukturbedingungen von Jugendarbeit einerseits große Möglichkeiten zu einer Demokratiebildung in der Form demokratischen Handelns eröffnen, aber dass andererseits auch die strukturelle Unverbindlichkeit der Teilnahme bzw. Mitgliedschaft einer vollen Entfaltung demokratischer Verhältnisse entgegensteht.“ (S.330) Anhand Ergebnissen empirischer Studien legt Sturzenhecker die Deutung nahe, „dass eine strukturierte Demokratiepraxis, in der Kinder und Jugendliche ihre Rechte und die formellen Strukturbedingungen auf Mitentscheidung in der Offenen Jugendarbeit erkennen und umsetzen, selten anzutreffen ist.“ (S.331) Partizipation in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit bleibt anscheinend gebunden an soziale Zugehörigkeit: Wer die sozialen Selektionsprozesse besteht, darf mitmachen und mitreden.
„Die ‚Wahlfamilien‘ müssen also in der sozialen Arena einer Offenen Kinder- und Jugendeinrichtung in Auseinandersetzung über Anerkennung und Zugehörigkeit immer wieder neu hergestellt werden. Da man nicht in sie ‚hineingeboren‘ werden muss, sondern sie freiwillig ‚wählen‘ kann, entstehen Chancen für soziale Integration, soziales Lernen und damit zumindest partiell auch Möglichkeiten für demokratieorientierte Bildung. Demokratietheoretisch bleiben die genannten Erfahrungen und Kompetenzen auf den Aspekt von Demokratie als Lebensform beschränkt: Es ist der alltägliche soziale Umgang miteinander, in dem demokratieförderliche Praxen entstehen. Es fehlen jedoch Strukturen und Erfahrungen von Demokratie als Herrschafts- und Gesellschaftsform [...] in der pädagogischen Einrichtung: eine rechtlich geregelte Mitgliedschaft und Mitverantwortung, formelle Entscheidungsgremien und Entscheidungsregeln, eine Möglichkeit der Selbstorganisation von Interessengruppen in ‚Binnenvereinen‘, eine geregelte, statt informelle Konfliktaustragung in der ‚Gesellschaft‘ sowie eine strukturierte und nutzbare einrichtungsinterne Öffentlichkeit.“ (S.333)
Benedikt Sturzenhecker plädiert für die bessere Nutzung der Demokratiepotentiale der OKJA in Form von echten Mitentscheidungsmöglichkeiten und schlägt hierfür eine die Mitwirkungsrechte und -strukturen klärende Verfassung für die OKJA vor, welche durchaus Vereinsprinzipien folgen kann. Die partizipativ zu erarbeitende, demokratische Verfassung einer Einrichtung der Kinder- und Jugendarbeit sollte analog zur staatlichen Demokratieform unter anderem enthalten eine Klärung von Mitgliedschaft und deren Erlangung, die Bestimmung von „Grundrechten“, die Bereitstellung von Institutionen und Verfahren zu Wahlen, Entscheidungsgremien und Gruppenparitäten, Fragen der Verantwortung bei der Umsetzung von Entscheidungen; Verfahren der Erstellung von „Gesetzen“ und deren Revision (Hausordnung, Regeln), Institutionen der Konfliktklärung und „Rechtsprechung“, Verfahren der Machtkontrolle und des Minderheitenschutzes.

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