PraxisTheorieForschung

Kinder- und Jugendarbeit

Eine Einführung

  • Umfang: 325 Seiten
  • Autor*in: Thole, Werner
  • Buch (Monographie)
  • Juventa, Weinheim, 2000

Abstract

Kurzversion

Werner Thole legte im Jahr 2000 ein grundlegendes Einführungswerk zur Kinder- und Jugendarbeit und damit gleichzeitig den Versuch vor, das komplexe Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendarbeit in seinen unterschiedlichen Facetten, angefangen von seiner Geschichte über die rechtliche Situation, Trägerstrukturen, die Einrichtungen, Arbeitsfelder und Inhalte, die Mitarbeiter*innen und Adressat*innen, Theorien und Konzepte, Leitlinien und methodische Prämissen bis hin zu einem Zukunftsausblick, in einem Studienbuch systematisierend darzulegen.

Die Publikation ist leider vergriffen, jedoch wird eine komplett überarbeitete Neuauflage angestrebt.

Zur Vertiefung eine Zusammenfassung:

Im ersten Kapitel wird eine vielzitierte Arbeitsdefinition der Kinder- und Jugendarbeit vorgestellt:
„Kinder- und Jugendarbeit umfasst alle

  • außerschulischen und nicht ausschließlich berufsbildenden,
  • vornehmlich pädagogisch gerahmten und organisierten,
  • öffentlichen,
  • nicht kommerziellen bildungs, erlebnis- und erfahrungesbezogenen Sozialisationsfelder
  • von freien und öffentlichen Trägern, Initiativen und Arbeitsgemeinschaften.

Kinder ab dem Schulalter und Jugendliche können hier

  • selbständig, mit Unterstützung oder in Begleitung von ehrenamtlichen und/oder beruflichen MitarbeiterInnen,
  • individuell oder in Gleichaltrigengruppen,
  • zum Zweck der Freizeit, Bildung und Erholung
  • einmalig, sporadisch, über einen turnusmäßigen Zeitraum oder für eine längere, zusammenhängende Dauer zusammenkommen und sich engagieren.

Die außerschulische Kinder- und Jugendarbeit konstituiert damit ein freiwilliges Angebot in einem doppelten Sinne: Weder können Kinder und Jugendliche zu einer Teilnahme verpflichtet werden, noch können sie andererseits ihre Teilnahme einklagen.“ (S.23) Zum gesellschaftlichen Platz der Kinder- und Jugendarbeit wird ausgeführt: „Orientiert Schule auf kognitive Leistungen, geht es in der Kinder- und Jugendarbeit primär um eine Stabilisierung der Kompetenzen zur sozialen Integration und der Konsolidierung der autonomen Lebensführungskompetenzen. Die Kinder- und Jugendarbeit ist entsprechend dieser Kernprämissen ein zentrales sozialpädagogisches, öffentlich organisiertes und vergesellschaftetes Sozialisationsfeld der modernen Gesellschaft.“ (S.24)

Es schließt sich ein umfassender Überblick über die Geschichte der Jugendarbeit und ihren Vorläufern an: von den „Spinnstuben“ als Form offener und freier Gesellung in der Vormoderne über die „Schnapskinos“ zu Zeiten der frühen Industrialisierung im 19. Jahrhundert, über die gesellschaftlich relevanten Bewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der Jugendverbandsarbeit, den politischen Arbeiterjugendorganisationen, der staatlichen Jugendpflege und der bürgerlichen Jugendbewegung, z.B. dem Wandervogel oder der musisch-kulturellen Jugendbewegung; die Aufbauarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg unter den Besatzungsmächten, die Erklärung von St. Martin und die zunehmenden Autonomiebestrebungen in den 70er Jahren, der Aufwertung jugendkultureller Ansätze bis hin zum Professionalisierungsprozess und den sich entwickelnden Theorien und Diskursen. Die Situation und Entwicklungen in der ehemaligen DDR und nach 1989 in den neuen Bundesländern werden ebenso nachgezeichnet.

Nach einem Kapitel über gesetzliche Grundlagen, Strukturen der Träger*innen und Finanzierung werden Einrichtungsarten, Arbeitsfelder und Inhalte dargelegt. Werner Thole systematisiert dies anhand eines Überblicks und weiterführender statistischer Daten zu den Einrichtungen, Einrichtungsformen werden in Steckbriefen dargestellt: Offene Jugendarbeit in Jugendzentren und Freizeiteinrichtungen, Bildungs- und Jugendtagungsstätten, Jugendkunstschulen und Kindermuseen, Kinder- und Jugendarbeit in Soziokulturellen Zentren, Kinder- und Jugendfarmen, Bau-, Abenteuer- und Aktivspielplätze und Horte. Die Arbeitsfelder werden dargestellt in der Aufteilung Kinder- und Jugendverbandsarbeit, Jugendpflege, Straßensozialarbeit, kulturpädagogische Aktionen und Projekte, Stadtrand- und Ferienerholungen, Spielmobile, Kinder- und Jugendreisen. Der Autor stellt fest, dass angesichts der Ausdifferenzierung des Arbeitsfeldes und der inhaltlichen Pluralisierung der Angebote es generell schwierig ist, über statistische Daten Einblicke in die Ausgestaltung von Angeboten und Einrichtungen zu erlangen und Daten teilweise teilweise auch grundsätzlich fehlen. Anhand der bundesweiten Personal- und Maßnahmenstatistik zeigt er mögliche Entwicklungslinien auf.

Fachlichkeit im Handeln und die Professionsrolle sind die Themen im Kapitel „Die MitarbeiterInnen“. Heranführend werden historische Entwicklungslinien der ehren-, neben- und hauptamtlichen Rolle in der Kinder- und Jugendarbeit aufgezeigt, anhand statistischer Daten ist ihre Personalstruktur differenziert nach Merkmalen wie Arbeitsfeld und Qualifikation dargestellt. Qualifikationsprofile, Wissensressourcen und Handlungskompetenzen der Professionellen werden anhand Studienergebnissen diskutiert. Die Pluralität der Arbeitsaufgaben und Schwierigkeiten in der Erforschung von „natürlichen“, personellen und professionellen Handlungsressourcen machen die Vielfältigkeit der professionellen Rollen plausibel und auch die Entwicklung eines oftmals nur „undeutlich konturierten professionellen Habitus“ (S.182): Ein fachlich eindeutig umrissenes Qualifikationsprofil ist nicht deutlich zu erkennen.
Ausgehend vom Individualisierungstheorem nach Ulrich Beck nähert sich Werner Thole den Adressat*innen der Kinder- und Jugendarbeit und differenziert nach folgenden Themen: Kindheit und Jugend in der individualisierten Gesellschaft, in Familie, Schule, Ausbildung und Beruf; die Entkoppelung von Bildung, Ausbildung und Beruf, Jugend und Erwerbstätigkeit; Mädchensozialisation und weibliche Selbstbilder; soziale und kulturelle Freizeitpraxen Jugendlicher, verfügbare Freizeit und ökonomische Ressourcen; Verinselung, Verhäuslichung und „neue Beweglichkeit“; Ausdifferenzierung und Pluralisierung der Freizeitpraxen; Aspekte von Gleichaltrigenkulturen und eine Revision auf diejenigen zu Zeiten der Weimarer Republik; Forschungsergebnisse zu Jugend, Politik, Engagement und Einstellungen zur Zukunft runden das Kapitel ab.

Theorien, Konzepten und Methoden der Kinder- und Jugendarbeit widmet sich das nächste Kapitel. Wenn von einer Theorie der Kinder- und Jugendarbeit die Rede ist, „dann ist damit ein wissenschaftliches Gebäude gemeint, das alle Facetten dieses sozialpädagogischen Handlungsfeldes umfassend betrachtet, analysiert und reflektiert sowie konkret die Aufgaben und Ziele der Kinder- und Jugendarbeit unter Einbeziehung von gesellschafts- und subjekttheoretischen Bezügen als instituionalisiertes Arbeitsfeld zu bestimmten versucht.“ (S.226) Dargelegt werden die zwischen 1960 und 1980 entwickelten Theorieansätze einer sozialintegrativen, emanzipatorischen, antikapitalistischen, bedürfnisorientierten und erfahrungsbezogenen Jugendarbeit. Aufgrund unterschiedlicher politischer, gesellschaftlicher und fachlicher Entwicklungen bestimmen ab den 80er Jahren „differente, sich ergänzende wie ausschließende konzeptionelle Muster die Kinder- und Jugendarbeit“, unter anderem genannt sind der akzeptierende, sozialräumliche, subjekttheoretische und multiperspektivische Ansatz. Thole konstatiert zusammenfassend, „dass eine Theorie der Jugendarbeit, die systematisch den gesellschaftlichen Modernisierungsprozess theoretisch reflektiert, sich in diesen Entwürfen noch nicht vollständig realisiert.“ (S.241)

Stellt eine Theorie quasi den Komplettentwurf oder die Gesamtschau dar, was Kinder- und Jugendarbeit ist und welche gesellschaftliche Funktion sie hat, so widmen sich Konzepte einer bestimmten Form von Kinder- und Jugendarbeit oder beschreiben ein bestimmtes Arbeitsfeld vor Ort im konkreten Zusammenhang. Als Praxiskonzepte werden auch anhand vielfältiger Beispiele erläutert die geschlechtsspezifischen Ansätze der Mädchen- und Jungenarbeit, interkulturelle Ansätze, kulturpädagogische, sportorientierte und erlebnispädagogische Konzepte. Methodische Ansätze sind in der Kinder- und Jugendarbeit ebenso ausdifferenziert, pluralisiert und werden multiperspektivisch verwendet, so dass „fast die gesamte Palette sozialpädagogischer Methoden in der Kinder- und Jugendarbeit eine Bedeutung“ genießt. (S.258) Als konstitutive Leitlinien der Kinder- und Jugendarbeit schlägt Thole ausgehend von den Strukturmaximen Sozialer Arbeit, wie sie 1990 im achten Jugendbericht der Bundesregierung festgehalten wurden, und bezugnehmend auf deren Präzisierung von Lothar Böhnisch für die sozialpädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen vor: Freiwilligkeit, Partizipation, Integration, Lebenswelt, Biografie, Zeit, Alltag, Selbstwert und Region. Angesichts der Vielfältigkeit der Handlungskontexte resümiert Thole: „Die Kinder- und Jugendarbeit ist weder durchgängig planbar und didaktisierbar noch mit standardisierten Instrumenten hinsichtlich ihrer direkten Wirkung über reine Kennziffern evaluierbar. Insbesondere vor dem Hintergrund trifft möglicherweise B. Sturzenhecker mit seiner Charakterisierung der Kinder- und Jugendarbeit als ‚geplante Anarchie‘ den Kern.“ (S.263)

Der Autor stellt zur Lage der Jugendarbeit während der Jahrtausendwende fest: Bildung wird zum Großthema stilisiert, die formellen, zertifizierenden Institutionen rücken ins Zentrum gesellschaftspolitischer Diskurse, es wird „die außerschulische Kinder- und Jugendarbeit immer noch nicht als ein substanzielles gesellschaftliches Sozialisationsfeld registriert.“ (S.274) Diese Tatsache, die Abkoppelung politisch geladener Inhalte vom Theoriediskurs bzw. dessen Entpolitisierung (siehe Theoriegeschichte), die Unschärfe des Professionsbildes, die Bestimmung der Kinder- und Jugendarbeit durch Zunahme handlungspragmatischer (Teil-)Konzepte gegenüber ganzheitlichen Theorieentwürfen, die eine selbstvergewissernde Orientierung ermöglichen würden und nicht zuletzt die Zunahme einer betriebswirtschaftlich denkenden Zweckrationalität lassen nicht verwundern, wenn Kinder- und Jugendarbeit ein bevorzugtes Objekt von Kürzungsabsichten wird. „Pädagogisches und sozialwissenschaftliches Fachwissen findet sich durch ökonomisches Universalwissen abgelöst.“ (S.277)

Wider die Entgrenzung und Entfachlichung der Kinder- und Jugendarbeit entwirft Werner Thole einen Grundriss an essentiellen Wissensbeständen und praktischen Handlungsfähigkeiten, über welche Fachkräfte verfügen sollten und dementsprechend ausbildungsrelevant sind (S.282ff).
Werner Thole plädiert für ein zukünftiges Verständnis der Kinder- und Jugendarbeit als reflexive Bildungsarbeit. Die Revitalisierung des Bildungsgedankens und die Reaktivierung pädagogischer und sozialpolitischer Intentionen rücken damit in den Mittelpunkt des Fachdiskurses. Wenn u.a. die zunehmenden reflexiven Kompetenzen der Jugendlichen Ausgangsbasis der fachlichen Expertise werden, so könnte eine dementsprechende Neuakzentuierung „die Profilierung der Kinder- und Jugendarbeit als eine gesellschaftlich anerkannte bildungsorientierte Sozialisationsinstanz befördern und das Ansehen bei den potentiellen Adressatinnen beleben. Die Kinder- und Jugendarbeit bleibt Teil jenes Kitts, der unsere Gesellschaft zusammen hält.“ (S.294)

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