PraxisTheorie

Kulturelle Bildung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit //Impulse für Profilbildung, Kooperationen und Projektentwicklung

  • Umfang: 107 Seiten
  • Herausgeber*in: Arbeitsstelle Kulturelle Bildung in Schule und Jugendarbeit NRW
  • Mitarbeit: Janowicz, Michael; Schorn, Brigitte
  • Buch (Sammelwerk): Werkbuch aus der Schriftenreihe der Arbeitsstelle „Kulturelle Bildung in Schule und Jugendarbeit NRW", Band 07
  • Remscheid, 2016

Abstract

Kurzversion

Die Publikation beschäftigt sich in vier Kapiteln mit jeweils unterschiedlichen Beiträgen mit kultureller Bildung in der OKJA. Kulturelle Konzepte der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, Kooperationen und deren Bedingungen zwischen unterschiedlichen Akteuren und offene Jugendkulturarbeit in der Bildungslandschaft werden erläutert, viele Praxisbeispiele und die Fachverbände und Organisationen kultureller Bildung in Nordrhein-Westfalen dargestellt.

Zu den einzelnen Kapiteln:

Das erste Kapitel beschäftigt sich im Rahmen von fünf Beiträgen mit theoretischen Grundlagen. Uwe Schulz widmet sich der kulturellen Bildung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit aus der Perspektive der Jugendpolitik des Landes Nordrhein-Westfalen. Herausforderungen bestehen einerseits darin, dass immer mehr jüngere Jugendliche die Angebote aufsuchen und anderseits in der flächendeckenden Einführung der Ganztagsschule in Nordrhein-Westfalen. Kulturelle Bildung stellt in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit ein Bestandteil von Bildung, verstanden als Selbstbildung in frei gewählten Bezügen, dar. Mit einem Zitat von Werner Lindner wird festgestellt: „Hervorzuheben ist, dass die kulturelle Kinder- und Jugendarbeit eine der wenigen gesellschaftlichen Instanzen ist, die es erlauben, die essentielle Freiheit der Bildung gegen alle Funktionalisierungen wirklich ernst zu nehmen, und die deshalb für umfassende Bildungsaufgaben in besonderem Maße geeignet ist.“ (S.9) Das Ziel der Landesregierung ist es, möglichst vielen jungen Menschen den Zugang zu Angeboten der kulturellen Kinder- und Jugendbildung zu ermöglichen, die Landesregierung will Nordrhein-Westfalen zum „Kinder- und Jugendkulturland“ (S.4) weiterentwickeln: durch Vernetzung, auch und insbesondere an der Schnittstelle zwischen Schule und Jugendarbeit und durch übergreifende Einrichtungen und Initiativen wie z.B. die durch die Arbeitsstelle „Kulturelle Bildung für Schule und Jugendarbeit NRW“ als gemeinsam von Jugend-, Schul- und Kulturressort des Landes geförderte Einrichtung.
Kulturelle Bildung in den offenen Settings der Kinder- und Jugendarbeit betrachtet Elke Josties. Sie beschreibt das besondere Profil von kultureller Bildung im Rahmen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit: „Kinder- und Jugendkulturarbeit folgt einem Verständnis von kultureller Bildung, das selbstorganisiertes ästhetisch-gestalterisches Handeln und Lernen in Gleichaltrigengruppen mit einem starken lebensweltlichen Bezug in den Mittelpunkt rückt.“ (S.12) Handlungsleitend und zentrales Qualitätskriterium ist das Prinzip Partizipation in der Gestaltung von kulturellen Bildungssettings im heterogenen Feld der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Dabei sollte es nicht dem Zufall überlassen sein, ob strukturell benachteiligte Zielgruppen einen Zugang zu kulturellen Bildungsangeboten erhalten. Kinder- und Jugendarbeit zielt darauf, Benachteiligungen und Diskriminierungen von Kindern und Jugendlichen aufzudecken und ihnen entgegenzuwirken. Elke Josties warnt in diesem Zusammenhang vor der Stigmatisierung der Adressat*innen und vor Verstärkung von Exklusionsprozessen durch entsprechende Antragslyrik mit defizitären Zuweisungen. Sie benennt auch insbesondere in Bezug auf die Arbeit mit geflüchteten jungen Menschen Aspekte kultureller Bildung im Rahmen einer kritischen und diversitätsbewussten Kinder- und Jugendarbeit. Kinder- und Jugendkulturarbeit sollte sich selbstbewusst und verstärkt an fachlichen Diskursen um kulturelle Bildung beteiligen. Elke Josties stellt resümierend fest: „Ich hoffe, dass heutige und zukünftige ‚Bildungslandschaften‘ auch in Zeiten der Ganztagsschulentwicklung und des derzeitigen Booms um kulturelle Bildung immer noch genügend ‚ungebildete‘ Freiräume zum selbstbestimmten Experimentieren mit und in den Künsten und Kulturen lassen und dass Kinder- und Jugendarbeit mit dazu beiträgt, Kindern und Jugendlichen solche Freiräume maßgeblich zu sichern.“ (S.17)
Holger Schmidt untersucht in seinem Beitrag die Fragestellung, ob die Offene Kinder- und Jugendarbeit offen für alle von außen an sie herangetragenen Ansprüche sein sollte und in diesem Zuge Kooperationen eingehen sollte. Einführend hierzu werden zur Situation der Offenen Kinder- und Jugendarbeit Zahlen der Entwicklung der Einrichtungen und der Fachkräfte hinzugezogen: während zwischen 1998 und 2019 die Zahl der Einrichtungen insgesamt nur leicht abgenommen hat, ist der Schwund an professionellen Arbeitskräften und vor allem der noch stärkere Rückgang an Vollzeitäquivalenten stark auffallend (siehe Tabelle auf S.20). „Dem Verhältnis zwischen Vollzeitäquivalentstellen und tatsächlich tätigen Personen in der Kinder- und Jugendarbeit kann zudem entnommen werden, dass in diesem Handlungsfeld prekäre Arbeitsverhältnisse zunehmen.“ (S.20) Das Handlungsfeld Offene Kinder- und Jugendarbeit wird zunehmend marginalisiert, da weniger finanzielle Mittel und weniger Personal zur Verfügung stehen und die Arbeitsbedingungen prekärer werden. Holger Schmidt formuliert folgende Thesen:

  • „Die Offene Kinder- und Jugendarbeit ist in die Defensive geraten und muss sich im Zuge des Umbaus des Sozialstaats zunehmend legitimieren. Dadurch werden handlungsfeldfremde Ansprüche, beispielsweise seitens der Sozialpolitik, an die Offene Kinder- und Jugendarbeit herangetragen und dort aufgenommen.
  • Bei dem Versuch der Legitimierung werden zunehmend Kooperationen mit ‚höherwertigen‘ Partnerinnen und Partnern angestrebt und eingegangen. [...]
  • Die Offene Kinder- und Jugendarbeit spricht vorwiegend Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten, bildungsfernen Milieus an. Dies hängt mit einer Abwertung des Handlungsfeldes zusammen und lässt die Fachkräfte in den Einrichtungen nach ‚anderen‘ Besucherinnen und Besuchern bei ihren Kooperationspartnerinnen und -partnern suchen.“ (S.21f.)

Bezüglich manch schwieriger Voraussetzungen der Kooperation von Institutionen mit unterschiedlichem Bildungsverständnis werden die Thesen abgeleitet:

  • „Kooperationen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit dürfen nicht auf Kosten der originären Ziele des Handlungsfeldes eingegangen werden.
  • Kooperationen sind daraufhin zu prüfen, ob gleiche oder sich ergänzende Ziele erreicht werden können. Erst dann können sie für die Offene Kinder- und Jugendarbeit sinnvoll sein.“ (S.23)

Jugendkulturarbeit bietet in Verbindung mit der Offenen Kinder- und Jugendarbeit einen hervorragenden kooperativen Nährboden, um Zielsetzungen der Subjekt- und Selbstbildung zu erreichen. Folgende Thesen werden hierzu aufgestellt:

  • „Eine Kooperation im Rahmen von Jugendkulturarbeit darf nicht allein auf eine Reproduktion bereits bestehender Kultur oder auf das Erlangen von in der Ökonomie verwertbaren Kompetenzen zielen.
  • Im Kontext einer Subjektbildung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit geht es auch darum, kulturelle Zwänge infrage zu stellen und Möglichkeiten zu erweitern. [...]
  • Jugendszenen müssen differenziert betrachtet werden. Elemente, die einer Subjektbildung entgegensprechen, dürfen nicht unterstützt werden.
  • Auch in der Jugendkulturarbeit und in der Arbeit mit Jugendszenen ist zu beachten, dass benachteiligte Kinder und Jugendliche partizipieren können und ihnen Bildungsgelegenheiten verschafft werden.“ (S.25)

Susanne Keuchel schreibt über Entwicklungen, Perspektiven und Chancen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit im Bereich der non-formalen Bildung. Nach einer kurzen geschichtlichen Heranführung zur Herausbildung der kulturellen Bildung als Oberbegriff für künstlerische und kulturelle Aktivitäten geht sie auf den Wirkungsdiskurs in der kulturellen Bildung ein und die damit grundsätzlich verknüpfte Schwierigkeit, dass ein Bildungsimpuls, den man in empirischen Settings messen möchte, nicht isoliert betrachtet werden kann. Sie verweist darauf, dass kulturelle Bildung als integraler Bestandteil der Eigenständigen Jugendpolitik einen gesellschaftspolitischen Auftrag hat: „Der Diskurs um Wirkungseffekte, insbesondere wenn er nicht subjektbezogen geführt wird, entfernt die kulturelle Bildung tendenziell vom Wertekanon einer Eigenständigen Jugendpolitik. Eine zu starke Betonung von Transfereffekten durch kulturelle Bildung und eine übersteigerte Einschätzung ihrer Möglichkeiten, wie dies zur Zeit punktuell in politischen und ökonomischen Kontexten beobachtbar ist, kann jugendlichen Zielgruppen indirekt sogar schaden. Dies gilt insbesondere bei kulturellen Bildungsmaßnahmen in sozialen Brennpunkten, wo gezielt junge sozial benachteiligte junge Bevölkerungsgruppen angesprochen werden, um sie für ein erfolgreiches und selbstbestimmtes Leben zu stärken. Bei diesen Bemühungen darf nicht vergessen werden, dass es nicht ausreicht, wenn die Persönlichkeit junger Menschen gestärkt wird und sie somit selbst für ihre Situation verantwortlich gemacht werden, die schlechteren Rahmenbedingungen, in denen junge Menschen dort leben, sich zugleich aber nicht verändern.“ (S.30)
Der Wandel von Interessensschwerpunkten des Kulturpublikums führt zu einem Paradigmenwechsel in Kultureinrichtungen: generell gilt, dass der Besuch klassischer Kulturangebote wie z.B. Konzerte der klassischen Musik generationenübergreifend rückgängig ist. Es zeigt sich hier der Niederschlag in der Auseinandersetzung mehrerer Generationen mit jugendkulturellen Angeboten. Dementsprechend sind Angebote bezüglich Populärer Kultur stärker gefragt, da insbesondere die junge Erwachsenenphase bei der kulturellen Interessenbildung eine sehr prägende ist. Publikumsanbindung und die Entwicklung jugendgerechter Formate werden bedeutender, Partizipation wird ein gesetztes Erfolgskriterium von Konzepten. Damit ergibt sich ein enger Bezug zu den Grundprinzipien der Offenen Jugendarbeit.
Auch kulturelle Teilhabe steht, wie Bildung allgemein, in einem signifikanten Zusammenhang mit der Schulbildung der Eltern. Um mehr Chancengleichheit für kulturelle Bildung zu gewährleisten, wurden ab 2004 in Nordrhein-Westfalen flächendeckende Programme ins Leben gerufen. Susanne Keuchel stellt aus den Ergebnissen der Programme fest, dass es für die Förderung nachhaltiger Interessen wichtig ist, „eine Relevanz von Kunst und Kultur auch außerhalb der schulischen Lebenswelt junger Menschen zu schaffen.“ (S.33) Damit ist die Offene Jugendarbeit ein zentraler Ort zur nachhaltigen Sicherung kultureller Teilhabe. Abschließend werden verschiedene Aspekte und Chancen kultureller Bildungsbündnisse und Kooperationen von Offener Jugendarbeit, Vereinen, kulturellen Einrichtungen und Schulen erläutert.

Stefan Marr geht in seinem Beitrag „Draußen vor der Tür – Schlummert etwas im Verborgenen?“ der Frage nach, inwiefern Offene Jugendarbeit und Einrichtungen kultureller Bildung unterschiedliche Ziel- und Besucher*innengruppen haben, welche Rolle dabei Schichtzugehörigkeiten spielen und wie unter dem Leitsatz „Tür auf für Kultur!“ mehr Menschen kulturelle Teilhabe ermöglicht werden kann. Im Sinne eines erweiterten Kulturbegriffs kann Kultur als Lebensweise gefasst werden, hieraus ergeben sich die unterschiedlichsten kulturellen Praxen und eine kulturelle Vielfalt, welche kulturelle Bildung herausfordert: Zugänge und Aufenthalte für unterschiedliche Zielgruppen müssen ermöglicht werden, Barrieren aus dem Weg geräumt, ein „Diversitätsbewusstsein“ soll die Angebotskonzeption bestimmen. Der „Vielfalt jugendlicher Lebenslagen und  -interessen“ muss mit einem mannigfaltigen, an den Rezipient*innen orientierten „Methoden-, Inhalts- und Kooperationsrepertoire“ auf Seiten der Einrichtungen begegnet werden.
Kulturelle Bildung geht stets vom „kompetenten  Subjekt“ aus. Unabhängig von Schullaufbahnen und Herkunftsfamilien werden die Beteiligten „als Akteure ihres eigenen Bildungsprozesses“ ernst genommen. „So geht es in der pädagogischen Praxis weniger darum, den Kindern und Jugendlichen Mitmachangebote ‚vorzusetzen‘, als ihnen Türen zu Feldern zu öffnen, in denen sie sich selbst Kultur erschließen und Kultur gestalten können.“ (S.40) Nur  wenn  die  pluralistischen Bedürfnisse und Interessen der Kinder und Jugendlichen in der pädagogischen Praxis einbezogen werden, fühlen sich die Heranwachsenden angesprochen teilzuhaben. „Gefordert ist, dass der Blick auf die Teilnehmenden stets offen ist für die gesamte Person und ihre umfassenden Lebenslagen.“ (S.41) Stefan Marr spricht sich für eine subjektorientierte künstlerische Praxis aus, in der die Teilnehmer*innen in ihrer persönlichen Lebenssituation ernst genommen werden und in der deren kulturelle Kompetenz im Umgang mit künstlerischen Medien gefördert wird. Abschließend plädiert er für eine inklusive Arbeit, mit der angestrebt wird, verschiedene Gruppen aus unterschiedlichen Schichten zusammenzubringen. Dass in Bildungsräumen „weitgehend homogene Gruppen unter sich bleiben, ist bildungspolitisch  bedenklich“. (S.42) Inklusion als ein Leitziel der Praxis verspricht hier Mehrwert.

Im zweiten Teil des Bandes werden Projekte, Ideen und Konzepte aus der Praxis vorgestellt, an dieser Stelle kurz inhaltsbezogen aufgezählt: eine bereichernde Begegnung zwischen Jugendzentrum und Theater; Jugendzentrum trifft Sinfonieorchester; Jugendkunst auf die Straße; Herausforderungen und Möglichkeiten im ländlichen Raum; Bühnenkunst und Aufführungen im Jugendzentrum; ein mobiles Musikprojekt mit geflüchteten Jugendlichen; ein Theaterprojekt über die Flüchtlingskatastrophe; kulturelle Bildung in einem Jugendcafé; ein Jugendkulturhaus als Labor für kreative Ideen und ein Medien- und Kulturzentrum mit dem Schwerpunkt Musik.
Im dritten Kapitel werden konkrete Ansätze kommunaler Vernetzung dargestellt: ein lokales Netzwerk Jugendkultur; Perspektiven aus den Projekten „Bildung(s)gestalten“ und „Kultur auf Tour“ zur Offenen Kinder- und Jugendarbeit in lokalen Bildungslandschaften.
Im vierten und letzten Teil werden die Strukturen kultureller Jugendbildung in Nordrhein-Westfalen mit einer Darstellung der Dachverbände und weiterer auf Landesebene agierenden Vertretungen zusammengefasst und abschließend ein weiteres Projekt per Interview präsentiert.

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