Abstract
Ulrich Deinet und Richard Krisch legen in diesem Beitrag ein für die OKJA handlungsleitendes Paradigma, die sozialräumliche Perspektive, in ihrer spezifischen Bedeutung und in ihrer Beziehung zu anderen begrifflichen Leitlinien wie Lebenswelt, Bildung und Partizipation dar.
Lothar Böhnisch und Richard Münchmeier haben ab Mitte der 80er Jahre den Begriff „sozialräumliche Jugendarbeit“ geprägt. Ihre gesellschaftliche Analyse, der zufolge die Auflösung tradierter Normen und die Freisetzung der Jugend von vorgefügten Lebensläufen zu einem Bedeutungsverlust von Institutionen, Rollen und Normen führe und gleichzeitig eine vermehrte sozialräumliche Orientierung der Jugendlichen zur Folge habe, ist die Grundlage einer sozialräumlichen Jugendarbeit. Jugendarbeit wird somit selbst zum Medium der Raumaneignung.
Ein Sozialraum ist durch gesellschaftliche Verhältnisse strukturiert und konstituiert in Interaktionen durch Subjekte, wodurch zugleich Handlungsräume eröffnet und beschränkt werden. In Sozialraumperspektive geht es um den von handelnden Akteuren konstituierten Raum und in physikalischer Perspektive um den verdinglichten Ort. Der „sozialräumliche Blick“ fokussiert in der OKJA die Aneignung von Räumen, die Wirkung räumlich vermittelter Bildungsgelegenheiten, Partizipationschancen und Entfaltungsmöglichkeiten von Jugendlichen. Die Ursprünge des Aneignungskonzeptes gehen auf Alexej Leontjew zurück, welches die Entwicklung des Menschen in tätiger Auseinandersetzung mit der Umwelt begreift. Mit dem Aneignungskonzept können die Qualitäten der Räume von Kindern und Jugendlichen verständlich gemacht und Rückschlüsse für die Konzeptionierung der Jugendarbeit gezogen werden.
Aneignung hat für junge Menschen unterschiedliche Dimensionen. „Aneignung für Kinder und Jugendliche ist
• eigentätige Auseinandersetzung mit der Umwelt,
• (kreative) Gestaltung von Räumen etc.,
• Inszenierung, Verortung im öffentlichen Raum (Nischen, Ecken, Bühnen) und in Institutionen,
• Erweiterung des Handlungsraumes (neue Möglichkeiten in neuen Räumen),
• Veränderung vorgegebener Arrangements,
• Erweiterung motorischer, gegenständlicher, kreativer und medialer Kompetenz,
• Erprobung des erweiterten Verhaltensrepertoires in neuen Umgebungen." (S.316)
Sozialräumliche Jugendarbeit versteht sich nicht als inhaltliches Konzept, wie z.B. geschlechts- oder (jugend)kulturspezifische Arbeitsansätze, sondern beschreibt vielmehr einen spezifischen Weg der Konzeptentwicklung. Sie geht von Begründungen und Orientierungen aus, die sich aus dem Zusammenhang zwischen dem Verhalten von Kindern und Jugendlichen und den konkreten Räumen, in denen sie leben, ergeben. Sozialräumliche Konzeptentwicklung fragt aus der Analyse der Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen, mittels der Anwendung verschiedenster Methoden der Sozialraumanalyse nach Bedarfen und Anforderungen an die Kinder- und Jugendarbeit. Hierfür gibt es ein Repertoire an quantitativen und qualitativen Methoden mit Beteiligungs- und Aktivierungscharakter, so z.B. Stadtteilbegehung, Nadelmethode, Cliquenraster, Institutionenbefragung, strukturierte Stadtteilbegehung, fotografische Dokumentationen, subjektive Landkarten, Zeitbudgets oder Fremdbilderkundung.
Die Autoren legen weitergehend den sozialräumlichen Ansatz als grundlegende Perspektive in seiner Verknüpfung mit den verschiedenen Ebenen der Jugendarbeit dar, den bildungs- und partizipationsbezogenen Implikationen und den jugendpolitischen Auftrag. Weitergehend wird angemerkt, dass die Sozialraumdebatte weit über die Jugendhilfe hinaus geführt wird, z.B. bezüglich Stadtteilmanagement oder Quartiersfonds. Insofern können sich hier Fragen der Kooperation, Planung und Finanzierung anschließen.
Die topografische Perspektive der Sozialraumorientierung birgt jedoch auch theoretische Gefahren. Die Autoren nennen etwa jene der territorial-räumlichen Verkürzung des Konzeptes.
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